Samstag, 21. April 2012
„What would you like for breakfast this morning?“
Ich habe einen Ort entdeckt an dem die Zeit langsamer verläuft, als überall sonst auf der Welt. Neugierig bin ich, und ich entdecke gerne neue Orte und Länder, aber nicht zu dieser Uhrzeit.
Der Nachtdienst ist rum und ich bin ziemlich müde.
„Heute bedient sie: Tante Klara, die Märchenvorlesefrau vom Weihnachtsmarkt.“, der Spruch könnte auf einem handgeschnitzten Schild auf dem Tresen stehen. Ohne heißen Kaffee und einen Happen zwischen die Zähne, bekomme ich morgens ziemlich miese Laune. Da hilft auch nicht die Vorfreude darauf, dass der Zug mich in Richtung meines Bettes fahren wird.
Tante Klara, ich nenne sie mal so, trägt einen festen Zopf und eine grasfroschgrüne Harrypotter-Brille.
„Es war einmal, vor langer, langer […] laaaanger, laaaaaaaaaaaaaaaaaaanger Zeit, dass…“
Die Arbeitsstimmung der Einfraushow kann als gediegen bezeichnet werden. Sie hat die Ruhe echt weg und nimmt aus der länger werdenden Schlange alle Bestellungen an.
Soweit so gut, aber was zu Beginn vergleichsweise zügig vor sich geht, rächt sich auf der Zielgeraden.
Und zwar genau in den Augenblicken, in denen die Wartenden merken, dass sie zunehmend an genervt sind und verdammt Knast haben: Das ist die Todeskombi.
Tante Klara kann das alles nicht anheben. Seelenruhig nimmt sie Kaffeewünsche entgegen, fragt gerne mal zwei bis dreimal nach. Die Kunden sollen ja auch einen schönen Samstagmorgen haben.
Hinter mir steht übernächtigtes Partyvolk. Ein Typ mit zwei Blondinen im Schlepptau.
Alle drei total im Eimer. „Ich kotz ab!“, sagt der Hemdenpaule zu einer seiner Begleiterinnen.
Kotzen!? Das kommt mir doch bekannt vor! Beruflich kann sich sowas schon ergeben, wenn andere Partymachen gehen. Das unschöne, bröckelige Resultat von Sauftouren.
Ich trete einen Schritt zur Seite, aber nichts passiert, außer, dass der Partylöwe die beiden Ladies küsst. Er wechselt fast gerecht ab, aber bevorteilt die rechts von ihm etwas zu sehr.
Alle atmen mir von hinten Alkoholfahnen um den Kopf. Und sie lachen, dümmlich. Zerreißen sich fast über jeden Scheiß. Die haben wohl nicht nur Alkohol in der Birne.
Am Tresen wechselt gerade eine unerwünschte Cola wieder den Besitzer.
Eine Frau mit sehr offenherzigem Dekolleté trommelt mit ihren langen Fingernägeln
ungeduldig auf dem Tresen.
Dann kommt die Engländerin an die Reihe, was ich nicht so ganz mitbekomme, weil es in dem Laden immer unruhiger wird.
Wenn ich deren Bestellung rekonstruiere, muss sie in etwa folgendes bestellt haben:

2 Kaffee
1 Muffin Dingens mit Ei und Schinken
2 Toastteile mit Schinken drin
3 Muffin Dingens mit Hühnchen
2 Mal irgendwas, wo der Schachtelwirt denkt, dass Ahornsirup geschmacklich dazu passt
1 Croissant

Tante Klara hat verstanden:

1 Kaffe &
10-13 ja, äh, andere Sachen halt! Aber was genau? – Frau hat da nicht so den Durchblick…

Ich bin an der Reihe und begnüge mich mit einem Kaffee, etwas zum Beißen und der Vorfreude darauf, dass ich im kommenden Jahrtausend zumindest ein Frühstück parat haben werde.
Nach und nach schafft die Märchenfrau tatsächlich die Bestellungen abzuschließen.
Es gehen auch nicht mehr so viele Sachen zurück oder müssen noch nachgefordert werden.
Das sehen auch die Kollegen von Tante Klara mit zuversichtlichem Blick, während sie sich mit solch wichtigen Sachen beschäftigen, wie die Milchdöschen nachzufüllen, was vor 2 Minuten erst ein anderer Kollege getan hat. Weniger geworden sind es zwischenzeitlich nicht.
Eine blonde Frau füllt Krümelzeugs beim Eisautomaten nach. Die ist bestimmt Studentin und sagt dann bei ihrem Mädelsabend zu ihren Freundinnen: „Das macht voll Spaß beim McFress zu arbeiten. Ist voll entspannt.“ Dann kichern alle, weil sie zu viel Rotwein getrunken haben, essen Schokobonbons und gucken die Filme mit Till Schweiger weiter.
„Where are the french fries?”
Tante Klaras Gesicht verrät, dass sie nichts verstanden hat.
Die Engländerin wühlt sich durch 1 ½ Papierhenkeltüten. Die hat Tante Klara voller Liebe und Sorgfalt gefüllt.
Die Touristin ist ratlos. „My family is waiting…“
Da kriege ich noch Zustände, wenn ich mir das weiter gebe. Ich habe echt Hunger, und wenn das nicht ein bisschen flüssiger läuft, dann laufe ich und zwar immer den Schienen nach.
Das kann nicht Gottes guter Wille sein!
„Die Frau will wissen wo ihre [fuckingshit] Pommes sind!“
Jetzt huscht ein Lachen über Tante Klaras Gesicht und ein Gewicht fällt von ihren schmalen Schultern sie schiebt die Harrypotter-Brille zu recht, soviel Zeit muss sein.
„Könnten Sie bitte übersetzen, dass das noch drei Minuten dauert?“
Wenn´s weiter nichts ist. Dann holt Tante Klara noch neue Pommes, und füllt sie in die Siebe über dem Fett.
„Danke, dass Sie übersetzt haben!“, sagt Tante Klara zu mir. Dann stellt sie mir zu meinem bestellten Kaffee noch einen zweiten dazu.
„Thank you very much for your translation!”, die Engländerin schüttelt meine Hand.
Sie hält mir die schwerere der beiden Tüten hin. Ich soll mir was aussuchen.
Schnell entscheide ich mich für ein Muffingedöns, wünsche den beiden Frauen einen schönen Tag und laufe zum Zug.
Beim Kauen denke ich mir wie schön dieser Morgen doch ist. Die Sonne scheint durchs Zugfenster und ich habe noch keine Ahnung davon, dass es zu Hause pissen wird, als hätten die Wolken eine deftige Blasenentzündung.

Gute Nacht und schönen Tag!


Manolo Ramon // 21. April 2012

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