Samstag, 14. April 2012
Küstentreffen
manolo ramon, 16:09h
Mentos saß im Zug Richtung Norden. Hamburg hatte den Reisenden mit verhaltenem Sonnenschein verabschiedet. Eben noch erreichte er mit seinen schweren Trolly und der Lederreisetasche den Anschlusszug, gerade noch rechtzeitig. Die Anzahl der drängenden Menschen war stark geschrumpft. Der logischste Grund war wahrscheinlich, dass keiner an die Küste wollte, wenn es so schien, als wäre ein Teil der Nordsee an den Himmel gehängt worden und mache sich nun, tropfenförmig, wieder auf, um an ihren Ursprungsort zurück zu kehren. Tausende der heimwehkranken Tropfen fielen am Ziel vorbei und landeten auf nassen Schafen, die auf Wiesen draußen vor den Zugfenstern kauerten. Arme Schweine, diese durchweichten Wollknäule. Nachdem Mentos den Sportteil der Zeitung gelangweilt durchblättert hatte und den letzten Schluck des nun eiskalten Kaffees getrunken hatte, zog er den Brief vom Graf aus seinem Sakko.
Es war schon verwunderlich, dass er um diese Jahreszeit schrieb. Weihnachten konnte sich vor seinem großen Auftritt noch etwas ausruhen. Wie viele Wochen waren es noch? – mehr als sieben. Der Inhalt des Schreibens war knapp und eindringlich. Der Freund bat ihn an die Küste zu kommen. Dass der Graf den handgeschriebenen Brief einer E-Mail vorzog, und auch nicht den Weg eines Videotelefonates wählte, würde vielleicht Leandra verwundern. Es würde vielleicht. Mentos dachte es sich, wissen konnte es aber niemand.
Leandra wirbelte als bunter Schatten vorbei. „Schau mal, schau mal, ohne Stützräder!“
Ein Kind das auf seinen Schultern eingeschlafen war. Ein Mädchen das über das Ganze Gesicht strahlte, als sie Weihnachten zusammen saßen und feierten. Urlaube am Meer, mit Möwen.
„Darf ich dir beim Kochen helfen? – Natürlich, mein Spatz, das kannst du!“. Leandra als querdenkende Teenagerin, die seine Nerven wie Muskeln trainierte. Eine bezaubernde junge Frau mit femininen und willensstarken Zügen, ihre strahlenden Augen, in der Hand das Abiturzeugnis...
Mentos lächelte in sich hinein, ihn durchflutete ein warmes Rauschen, das Gefühl von tiefer Liebe, das durch seine Blutbahn schoss. Er hörte eine so vertraute Stimme aus der Ferne rufen und Lachen.
Die tragende Melodie der Vergangenheit, die langsam immer leiser wurde. Das war ihm schon in den vergangen Jahren voller Angst schmerzlich bewusst geworden.
Der Zug bremste unsanft und der 53-jährige wischte sich mit einer Hand salzige Tränen aus den Augen. Die nassen Spuren brannten auf seinen Wangen.
Mit tiefem Durchatmen konnte er die Enge um sein Herz vertreiben. Langsam fasste er sich wieder.
Eine ganz bestimmte Melagne aus Erinnerungen und Gefühlen versetzte ihn immer in diese melancholische Stimmung. Manchmal war es ihm unangenehm, gerade wenn andere dabei waren. Kriminalkommissare sind auch nur Menschen, beruhigte er sich. Das Handy signalisierte vier Anrufe in Abwesenheit. Mittlerweile war es Nachmittag geworden.
„In wenigen Minuten erreichen wir Husum – The next Stopp is Husum!“
„Schreibe ihr!“, das war vor mehr als dreißig Jahren gewesen. Mentos hatte auf den Rat seines Freundes gehört. Mit einem Brief hatte alles begonnen. Vielleicht aber schon in dem Moment als der Graf seine Kamera im Husumer Hafenwasser versenkt hatte. Eine Kettenreaktion deren Ausläufer bis zum heutigen Tag andauerten, und noch lange nicht enden sollten. Dieser Umstand entzog sich aber den Vorstellungen des Kommissars.
Damals, da waren sie noch zwei sich völlig Unbekannte, Studenten. Sie standen neben einander und beobachteten die Fischer, wie sie auf eine grobe Weise Krabbenkörbe entluden.
Der Graf war gestolpert, als er Luisa festhalten wollte, als sie an einem dicken Tau hängen blieb.
Er griff im Fall nach dem schmalen Mann, der dadurch seine Kamera verlor.
„Bist du bescheuert!?“, war er von Mentos angefahren worden. Ruhig und mit einem entschuldigenden Lächeln auf dem offenen Gesicht, hatte dieser entgegnet: „Nö, mein Name ist Hauke“. So hatten sie sich kennen gelernt. Die Umstehenden hatten den Wortabtausch gespannt verfolgt, vielleicht erhoffte sich der eine oder andere eine kleine Freiluft Keilerei im Hafen. Handgreiflichkeiten blieben aber aus.
Für Mentos wurde in jenen Tagen aus Hauke, der Graf, weil: wer an diesem Ort herumläuft und Hauke heißt, kann doch nur der Deichgraf sein, der nachts auf seinem Schimmel durch stormsche Landschaften jagt.
Der Strudel der Zeit hatte sie beide eng zusammengeschweißt. Ihre Lebensläufe begannen sich langsam zu verflechten, in diesem lange vergangenen Sommer.
Eine unbekannte Macht schien sie damals unter der wärmenden Sonne auf dem Kopfsteinpflaster der pittoresken Hafenstadt zusammengeführt zu haben:
Den Grafen, Luisa und Mentos. Leandra war damals noch nicht Teil seiner zärtlichsten Gedanken und Quelle seiner Freude. Die schöne Dunkelblonde mit den klaren, dunklen Augen ruhte noch lange in den Tiefen der Zeit, bevor ihr erster, kräftiger Schrei ihre Lungen entfalteten und mit Sauerstoff füllen sollte. Mentos sollte das reißende Gefühl des sehnenden Vermissens erst noch erfahren, das tiefe Furchen in sein Herz pflügen, und sein Hirn nachts nicht zur Ruhe kommen lassen sollte...
[Fortsetzung wird noch folgen]
Manolo Ramon // 14. April 2012
Es war schon verwunderlich, dass er um diese Jahreszeit schrieb. Weihnachten konnte sich vor seinem großen Auftritt noch etwas ausruhen. Wie viele Wochen waren es noch? – mehr als sieben. Der Inhalt des Schreibens war knapp und eindringlich. Der Freund bat ihn an die Küste zu kommen. Dass der Graf den handgeschriebenen Brief einer E-Mail vorzog, und auch nicht den Weg eines Videotelefonates wählte, würde vielleicht Leandra verwundern. Es würde vielleicht. Mentos dachte es sich, wissen konnte es aber niemand.
Leandra wirbelte als bunter Schatten vorbei. „Schau mal, schau mal, ohne Stützräder!“
Ein Kind das auf seinen Schultern eingeschlafen war. Ein Mädchen das über das Ganze Gesicht strahlte, als sie Weihnachten zusammen saßen und feierten. Urlaube am Meer, mit Möwen.
„Darf ich dir beim Kochen helfen? – Natürlich, mein Spatz, das kannst du!“. Leandra als querdenkende Teenagerin, die seine Nerven wie Muskeln trainierte. Eine bezaubernde junge Frau mit femininen und willensstarken Zügen, ihre strahlenden Augen, in der Hand das Abiturzeugnis...
Mentos lächelte in sich hinein, ihn durchflutete ein warmes Rauschen, das Gefühl von tiefer Liebe, das durch seine Blutbahn schoss. Er hörte eine so vertraute Stimme aus der Ferne rufen und Lachen.
Die tragende Melodie der Vergangenheit, die langsam immer leiser wurde. Das war ihm schon in den vergangen Jahren voller Angst schmerzlich bewusst geworden.
Der Zug bremste unsanft und der 53-jährige wischte sich mit einer Hand salzige Tränen aus den Augen. Die nassen Spuren brannten auf seinen Wangen.
Mit tiefem Durchatmen konnte er die Enge um sein Herz vertreiben. Langsam fasste er sich wieder.
Eine ganz bestimmte Melagne aus Erinnerungen und Gefühlen versetzte ihn immer in diese melancholische Stimmung. Manchmal war es ihm unangenehm, gerade wenn andere dabei waren. Kriminalkommissare sind auch nur Menschen, beruhigte er sich. Das Handy signalisierte vier Anrufe in Abwesenheit. Mittlerweile war es Nachmittag geworden.
„In wenigen Minuten erreichen wir Husum – The next Stopp is Husum!“
„Schreibe ihr!“, das war vor mehr als dreißig Jahren gewesen. Mentos hatte auf den Rat seines Freundes gehört. Mit einem Brief hatte alles begonnen. Vielleicht aber schon in dem Moment als der Graf seine Kamera im Husumer Hafenwasser versenkt hatte. Eine Kettenreaktion deren Ausläufer bis zum heutigen Tag andauerten, und noch lange nicht enden sollten. Dieser Umstand entzog sich aber den Vorstellungen des Kommissars.
Damals, da waren sie noch zwei sich völlig Unbekannte, Studenten. Sie standen neben einander und beobachteten die Fischer, wie sie auf eine grobe Weise Krabbenkörbe entluden.
Der Graf war gestolpert, als er Luisa festhalten wollte, als sie an einem dicken Tau hängen blieb.
Er griff im Fall nach dem schmalen Mann, der dadurch seine Kamera verlor.
„Bist du bescheuert!?“, war er von Mentos angefahren worden. Ruhig und mit einem entschuldigenden Lächeln auf dem offenen Gesicht, hatte dieser entgegnet: „Nö, mein Name ist Hauke“. So hatten sie sich kennen gelernt. Die Umstehenden hatten den Wortabtausch gespannt verfolgt, vielleicht erhoffte sich der eine oder andere eine kleine Freiluft Keilerei im Hafen. Handgreiflichkeiten blieben aber aus.
Für Mentos wurde in jenen Tagen aus Hauke, der Graf, weil: wer an diesem Ort herumläuft und Hauke heißt, kann doch nur der Deichgraf sein, der nachts auf seinem Schimmel durch stormsche Landschaften jagt.
Der Strudel der Zeit hatte sie beide eng zusammengeschweißt. Ihre Lebensläufe begannen sich langsam zu verflechten, in diesem lange vergangenen Sommer.
Eine unbekannte Macht schien sie damals unter der wärmenden Sonne auf dem Kopfsteinpflaster der pittoresken Hafenstadt zusammengeführt zu haben:
Den Grafen, Luisa und Mentos. Leandra war damals noch nicht Teil seiner zärtlichsten Gedanken und Quelle seiner Freude. Die schöne Dunkelblonde mit den klaren, dunklen Augen ruhte noch lange in den Tiefen der Zeit, bevor ihr erster, kräftiger Schrei ihre Lungen entfalteten und mit Sauerstoff füllen sollte. Mentos sollte das reißende Gefühl des sehnenden Vermissens erst noch erfahren, das tiefe Furchen in sein Herz pflügen, und sein Hirn nachts nicht zur Ruhe kommen lassen sollte...
[Fortsetzung wird noch folgen]
Manolo Ramon // 14. April 2012
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