Donnerstag, 12. April 2012
Was mich heute hat lächeln lassen:
Durch den Mittelgang des Waggons läuft ein alter Mann. Mühsam läuft er die Stufen im Zug hoch. Hinter sich einen schwarzen Trolly wuchtend. Er blickt sich durch dicke Brillengläser um, und fährt sich mit einer runzeligen Hand über das schüttere Haar. Mühsam schält er sich aus seinem hellen Cashmeremantel und setzt sich schwerfällig auf einen Sitz. Vor einem Halt steht er auf. Er kneift die Augen zusammen, wahrscheinlich, um die Anzeige im Zug lesen zu können. Dann dreht er sich zu einer Studentin, die entweder bei Pandora Geld gelassen hat war oder nur die Tüte bei sich trägt. Knapp eine Viertelstunde hat sie am Handy einen Freund gefragt, ob er und die anderen schon am Grillen seien. Sie käme in knapp einer Stunde nach Hause, müsse aber erst Mal noch bei Family und Großeltern vorbei. „Lasst mir was vom Bier über!“, höre ich noch, während sich der alte Mann zu der Reisenden dreht. Kurz davor hat sie das Gespräch beendet. Ihr glücklicher Gesichtsausdruck wird im Fenster reflektiert und ich höre sie tief einatmen.
Ich lache über eine Beschreibung von Wladimir Kaminer im Buch. Der Zug ruckt und bremst leicht ab. Im Augenwinkel sehe ich zeitlupenhaft den alten Mann.
Fast sieht es so aus, als würde er auf blankem Eis tanzen. Er macht rückwärts einen unbeholfenen Schritt auf eine der Stufen, dann noch einen halben. Dann sehe ich diesen großen Mann nach hinten umkippen. Ein großer Knall bleibt aus.
Er liegt einfach da, aber nur den Bruchteil einer Sekunde.
Alle Anwesenden im Waggon springen auf und rennen zu dem Liegenden. Nicht alle zeitgleich, aber ein wenig zeitversetzt. Niemand bleibt sitzen. Unter ihnen die Frau, die so bedacht ihre Handtasche in ausreichendem Sicherheitsabstand gezogen hatte, nachdem sich ein weiterer Mann zu ihr setzte.
Jetzt lässt sie ihre lila Tasche völlig unbewacht.
Die Frau, die sich so aufs Grillen freut ist als Erste bei ihm, kniet sich neben ihn.
Augenscheinlich ist der Mann unversehrt und äußert auch nirgends Schmerzen. Gemeinsam stellen wir ihn mit vereinten Kräften wieder auf die Beine.
Der Mann steigt zwei Stationen später aus, und sieht jeden von uns mit Tränen in den Augen an.
Er möchte sich mit seinem Trolly nicht helfen lassen. „Danke!“, sagt er. Und im Vorbeigehen: „Ich bin 86 Jahre alt und sehe nicht mehr gut…“, den Rest höre ich nicht mehr.
Die Frau mit dem Salamibrötchen rechts von mir, riecht stark nach einem Parfüm, das ich kenne.
Sie lacht quer über den Mittelgang, den der Alte langsam geht.
Kaminer schreibt skurril über Städte, aber am meisten lächle ich in mich hinein, über all die Leute im Waggon. Die haben ihr iPod und ihre Neon mal liegen lassen, um gemeinsam an einem Strang zu ziehen.
Der Zug setzt seinen Weg fort. Die schütteren Haare verschwinden im Treppenabgang des Bahnhofs, zusammen mit dem Trolly.

Von Manolo Ramon // 12. April 2012

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