Donnerstag, 6. Dezember 2012
SCHIENENWEGE
<<You won't find him trying to chase the devil
for money, fame, for power, out of grief
you won't ever find him where the rest go
you will find him, you'll find him next to me. >>

NEXT TO ME – gesungen von Emeli Sande


Philip sah durch tanzende Gardinen aus Schnee nach draußen. Der Fahrtwind des Zuges zog sie immer so eng zusammen, dass ein Blick in die Ferne unmöglich war.
Und so verzichtete er auf diese Beschäftigung und konzentrierte sich auf die Musik, die aus den Kopfhörern kam.
Der junge Araber links von ihm schlief. Den Kopf ans Fenster gelehnt. Mit offenem Mund und machte bei jedem Einatmen ein Geräusch, als würde man einen verstopften Gully freisaugen wollen.
Wieder und immer wieder.
Unter der abgewetzten Lederjacke trug er einen Wollpullover. Sehr schick. Schweizer Wertarbeit.
Um den bärtigen Hals war ein Arafat-Schal geschlungen. Seine Füße steckten in gefütterten Schnürboots.
Bei jedem Ruckeln des Zuges drohte sein linkes Bein abzurutschen. Das Ismail angewinkelt dort platziert hatte. Aber aus einem unerklärlichen Grund hielt es Balance.
Auch im tiefsten Schlaf.
Ismail war wortgewandter als sein Gegenüber. Tim studierte in Hamburg Fotografie und Film und achtete peinlich genau darauf, dass er unter keinen Umständen auf den rechten Fuß des Schlafenden trat. Denn ganz genau hatte in dem Abteil noch keiner begriffen was er genau meinte, als er Stunden zuvor von Demonstrationen oder Kämpfen auf der Straße geredet hatte. Mit seinem Dialekt, der erforderte dass man an manchen Stellen einfach erriet was er zum Beispiel meinte, wenn er sagte „Und dann…“, um seine Hände in einer schnellen Klatschbewegung zusammenzuführen, um sie blitzartig wieder auseinander wirbeln zu lassen. „BOOOOOOOM!!!“, schrie er schon fast. Und wurde beim Reden von einer beängstigenden Euphorie ergriffen, die zum Glück in milden Gesichtszügen verebbte.
Tims Tick nahm zu. Er blinzelte immer öfter und kniff seine Augen fester zusammen.
Er schien Kraftübungen für seine Lider zu machen.
Und obwohl die Statur des Arabers keine angsteinflößende war, eher athletisch trainiert, musterte der Bilderfreund mit der Beethovenfrisur den anderen wie einen schlafenden Löwen.
Tim bohrte gedankenverloren in der Nase, während er die Seiten seines Buches umblätterte. Er war nach der Blonden ins Abteil gekommen. Vor Ismail und Philip.
Und gehörte zusammen mit seiner Nachbarin zur Pulli-Fraktion.
Sein Dufflecoat lag auf der Ablage. Neben der schweren Reisetasche seiner Nachbarin. Einer zierlichen Blonden die entweder eine Handyflat hatte oder am Ende des Monats eine horrende Telefonrechnung. Sie telefonierte unentwegt. Aber so leise, als würde sie in ihre Hand flüstern. Ihre Stimme hob sich von den dumpfen Rumpeln der Metallräder erfrischend ab.
In ihren Gesichtszügen lag etwas Ernstes. Die schmalen Lippen schienen immer von einem leichten Lächeln umspielt. Sie war ganz in sich selbst versunken.
Sie veränderte fast nie ihre Sitzposition, während sie mit einer Bekannten oder Freundin sprach.
Philip war sich sicher, dass sie mit einer Frau sprach. Tim schob sich seine Brille ins Haar. Nährte das Buch dicht vor die Nase, als wären zwischen den Zeilen dreidimensionale Bilder verborgen.
Er ließ die Lektüre sinken und schnaubte leicht neurotisch.
Eine junge Frau mit Schirmmütze trat ins Abteil und wollte Brezeln verkaufen. Ohne Erfolg.
Ihr Kollege hatte mehr Glück und wurde teuren Kaffee und mehrere Schokoriegel los.

Es blieben noch ein paar Stunden, bevor sie ihren Zielbahnhof erreichen würden.
Kaum merklich verlangsamten die Wagen ihre Fahrt. Mitten in der Schneewüste stand ein Bahnhof.
Das Bahnhofsgebäude sah aus, als seien die Fenster lange nicht mehr gesäubert worden. Und durch die kleine Halle war seit Urzeiten kein Mensch gelaufen.
Neben dem Backsteinbau stand ein abgeflachtes Gebäude. An seinen Wänden hoben sich Graffiti vom sterilen Weiß der Umgebung ab. Auf dem Dach stand eine blattlose, einsame Birke.
Es gab eine Bank vor der nur noch die Metallstützen standen. Die Sitzfläche war verschwunden.
Die Unterführung am einzigen Bahnsteig war mit Bauschutt verfüllt worden.
Ein Fetzen Absperrband flatterte verblasst im eisigen Wind.
Hinter dem zersplitterten Glas des Schaukastens hing ein unleserlicher Zettel. Er wies die Fahrgäste daraufhin, dass diese Haltestelle nicht mehr bedient wurde.
Die Blonde von gegenüber war immer noch am Telefonieren.
Sie hatte sich keinem vorgestellt. Und es machte den Eindruck als wolle sie für sich sein oder kein Interesse an jeglicher Konversation haben.
Sie war der Gegenpol zu Ismail. Dessen Stimme überschlug sich fast, wenn er sprach.
Was seinen Akzent noch komischer klingen ließ.
Irgendwie waren sie auf Syrien zu sprechen gekommen. Aufständische hatten angeblich Militärs getötet. Irgendwelche Gefangenen.
„Seht ihr, dafür braucht es Leute wie uns!“, sagte Tim mit seiner Hanseatischen Zunge. Er meinte Fotografen. „Wir drücken einfach auf den Auslöser. Und zack haben wir die unverrückbare Realität abgebildet. Genau das was ist. In Farbe.“
„Und bearbeitet das dann nach Belieben“, warf Ismail ein.
Tim fühlte sich missverstanden. Auf seiner Stirn bildeten sich kleine Falten.
„Stellt euch mal vor. Vielleicht trifft es gar keine Unschuldigen?“, fragte Ismail in die Runde. Philip sah in sich verengende Pupillen.
Die Augen des Arabers waren klar und höchst aufmerksam.
Tims Terry Pratchett Buch rutschte von seinem Rucksack. Und mit einem reflexartigen Vorschnellen der Hand fing Ismail es, bevor es den Boden berührte.
Er reichte es seinem Besitzer. „Danke. Mann!“
„Würde jemand einen Menschen bedrohen den ich liebe. Ginge es darum sein Leben zu schützen. Ich glaube, dass ich den Angreifer verletzten oder töten würde!“
Seine dunklen Augen starrten auf den schneebedeckten Bahnsteig.
Philip und Tim sahen sich an. Daran bestand absolut kein Zweifel.
Das Mädchen hustete kurz und lachte, als Erwiderung auf die Unterhaltung aus dem Handy.
„Aber wie sehr du auch einen Menschen liebst, das rechtfertigt kein Unrecht!“, wand Tim ein. „Niemals!“, bekräftige er.
„Hast du je in deinem Leben eine Situation erlebt Tim, in der es darauf ankam genau das Richtige zu tun? Wo du alle Konsequenzen vergessen hast, weil sie scheissegal waren? Damals in meiner Heimat…“
Der Satz erstarb und seine Lippen bebten leicht.
Kaum wahrnehmbar rollte der Zug weiter. Und hielt dann quietschend.
Die kurzen Finger des Hamburgers zeigten aus dem Fenster. An einem gusseisernen Stahlträger vorbei.
Er deute auf einen dunklen Sack neben einer Streugutkiste. Es konnten auch Plastikplanen sein, die dort langsam eingeschneit wurden.
Jemand hatte sie unachtsam unter der kaputten Überdachung des Bahnhofs abgelegt.
Zu dritt drängten sie sich ans Zugfenster. Ismail war als erster durch den Gang des Waggons gerannt.
„Ich werde ihm mal nachgehen“, sagte Tim bestimmt und zog sein Dufflecoat an. Und kurze Zeit später stand die Blonde bei ihnen. Auf dem Kopf eine komische Eisbärenmütze. Sie überragte die beiden anderen um mindestens zwei Köpfe.
Ein Polarbär mit Winterstiefeln und geringelten Strumpfhosen.
Philip fror schon alleine beim Anblick ihres Cord-Rocks.
Sie hatte wieder ihr Handy am Ohr.
Ismail stand wieder auf. An seinen Hosen haftete Schnee. Er reckte den rechten Daumen nach oben. Schob sich den Arafat-Schal vor den Mund und klopfte dem größeren Tim auf die Schulter. Die drei sprachen miteinander.
Philip sah, wie Tim nickte und mit festen Schritten zu dem Anbau mit dem Graffiti auf den Wänden lief. Er drehte sich nur noch einmal um, um Philip zu winken.
Der Akku des Handys war leer. Und der Zug rollte langsam wieder los.
Der Araber war über einen schmalen Weidezaun geklettert. Genau gegenüber des Bahnhofs. Auf der anderen Seite der Gleise. Philip verfolgte die schmale Gestalt, die sich langsam im Schneegestöber verlor.
Er lief auf den angrenzenden Wald zu. Wahrscheinlich hatte auch er zwischen den Bäumen den wettergeschützten Hochstand auch entdeckt.

Der Schaffner kam und sah ins Abteil. Er nickte stumm, als grüße er einen Bekannten.
Dann riss er mit einem Ruck die Tür auf.
„Entschuldigen Sie, aber wegen Schneebruch musste der Zug eine andere Strecke fahren als sonst. Wir haben es vorhin durchgesagt.“ Vielleicht hatten sie gerade diskutiert und es deswegen nicht mitbekommen. Und dann kam der Zug endlich doch noch an.

Ein Taxi hatte Philip bis vor die Bar des Freundes gebracht. Sie lag leicht versteckt im Szeneviertel.
Philip wartete bis seine Pranken aufgehört hatten auf das Klavier in der Ecke einzudreschen, und setzte sich auf einen der vielen freien Stühle.
Ein Pärchen klatschte begeistert Beifall. Niko verneigte sich und krempelte die Hemdärmel wieder hoch. Dann ließ er den Deckel krachend zu fallen, und entdeckte Philip.
Er erinnerte ihn immer an einen gemütlichen Gemüsehändler auf einem Markt.
Nachdem er seinen Gästen die Tür aufgehalten hatte, gab er Philip die Hand. Zog ihn an sich und umarmte ihn herzlich.
„Gut siehst du aus. Alter Junge!“
Niko hatte merklich zugenommen. Er rauchte immer noch, trotz vieler guter Vorsätze.
„Lieber was heißes zum trinken oder ein kühles Blondes?“ Weil die Antwort ihm zu lange dauerte, schlug sich der Gastwirt auf die breiten Oberschenkel und stand auf.
Er kam mit einem Tablett wieder und stellte ihnen beiden einen Kaffee und ein Bier hin.
Sie begannen ein wenig Smalltalk, als Niko beiläufig fragte „Erzähl. Stimmt es? Du hast sie echt getroffen!?“
Er hatte sich gerade umständlich eine Zigarette angezündet. Und sah ins glutrote Glimmen.
Philip nickte und kratzte sich in den kurzen Haaren. Seine Augen ruhten auf der Maserung des Tisches.
„Ich lief mit Amelie über die Hauptstraße. Dort wo rechts der Farben-Winkler ist. Weißt du, da wo du Fotos gemacht hast von den witzigen Plakaten?“ Niko nickte nachdenklich.
„Es regnete und rechts trug ich einen Haufen Tüten. Links hatte ich Amelie an der Hand. Wir rannten zwischen den Autos über die Straße. Und die Kleine fragte dauernd, warum wir bei Rot über die Straße gehen würden.“
Der Freund ließ den Kaffee kalt werden und trank sein Bier. Der konnte sich glücklich schätzen.
Niko hatte keine Kinder und wollte nie welche. Amelie hatte noch drei Geschwister. „Wir rennen also beide bis zum Eingang der U-Bahn und ich sehe auf den Fahrplan. Als mir ein Duft in die Nase steigt. Es riecht nach dem Chinaimbiss, nach kaltem Regen und etwas anderem. Dieses Parfüm.
Niko. Das hat mich hier drinnen herumgerissen und gegen weiche Wände geschleudert. Und ich sehe mich prüfend um. Rechts von mir eine komische Alte mit einem Dalmatiner und einer Tüte von Dior.
Eine Afrikanerin mit ihrer Tochter. Amelie sagt, dass sie auch so eine Frisur haben möchte, wie das Mädchen. Die Mutter lacht.
Und da steht sie. Sie steht einfach da zwischen den triefendnassen Menschen. Um die Schulter eine Handtasche und eine andere Frisur. Älter war sie geworden, aber immer noch so anziehend.
Sie dreht sich suchend in unsere Richtung. Das kann sie nicht sein. Ich irre mich. Amelie möchte, dass wir eine gebackene Banane mit Honig kaufen gehen, und als ich wieder hoch blicke, da ist die Frau weg. Einfach weg!“
Nikos Lippen sind leicht geöffnet. An der oberen hängt ein bisschen Bierschaum. Er ruckelt leicht mit seinem schweren Kopf, als wolle er sagen: Sprich weiter!
„Und gerade als wir gehen wollen, merke ich es. Sie muss in unserer Nähe sein. Ich bekomme Gänsehaut. Sie steht rechts von uns. Genau neben Amelie.“
„Aber wie sollte das möglich sein. Ihr habt euch doch, ...“, Niko zählte seine Finger und überschlug laut, „Fünfzehn- Zwanzigjahre nicht gesehen. Was wollte sie denn!?“
„Eben. Ich konnte es mir auch nicht erklären.“
Niko überlegte mit dem analytischen Blick eines geübten Schachspielers. „Was hat sie denn gesagt?“, wollte er wissen.
„Sie sagte einfach nur: Hallo! Und dann an Amelie gerichtet: Na. Wer bist du denn!? Das Kind sieht mich an und fragt: Papa, wer ist die Frau?“

Philip sah, dass Niko überlegte was er an seiner Stelle wohl gesagt hätte. Er blies ratlos etwas Rauch aus.
Der Jüngere erzählte dem Freund, dass sie unbedingt mit ihm reden wollte. Für ein zweites Gespräch hatte Philip aber keinen Grund gesehen. Amelie saß neben ihm. Und vielleicht war schon die Einladung zu einem kurzen Kaffee schon ein Fehler gewesen.
Sie habe sich an ihn erinnert. Philip hatte lachen müssen.
Ein abschätziges, kurzes Lachen. Er hatte abgewunken.
„Vergiss es!“, hatte er ihr ruhig gesagt. Und seinen Arm um Amelie gelegt.
„Jeder Mensch ist für sich selbst verantwortlich. Für sich ganz alleine!“
"Du warst früher ganz anders", probierte sie es. Ob er ein Zyniker geworden sei, fragte sie ihn dann.
Und er widerstand dem aufkommenden Impuls sie aus vollem Hals anzuschreien und sie zu fragen, ob sie noch alle Tassen im Schrank habe. Er hatte nur tief eingeatmet, seine Tochter angesehen und an seine Frau gedacht.
„Du hast mir einmal gesagt, dass es einen sicheren Ort geben würde. Einen den du kennst! Erinnerst du dich? - Ich habe dir vertraut Philip!“
Jetzt hatte sie ihn. Er schloss die Augen. Rang mit sich und fasste sich aber wieder.
„Der Ort liegt aber in unserer Vergangenheit, und mein Jetzt das sieht ganz anders aus.“ Er blieb ruhig. "Es sind heute andere Menschen die ich liebe und die mir wichtig sind. Verstehst du?"
Gleich würde sie beginnen zu weinen. Ihre Nasenflügel zitterten und der untere Rand ihrer Augen wurde glasig. Ihre Hände lagen reglos schön neben der Speisekarte.
Sie sah ihn nur stumm an. Ihr Brustkorb hob und senkte sich.
„Du wolltest da sein, wenn ich dich brauche!“ Sprach sie mit ihm?
Es hätte ebenso Amelie sein können. Sie war aber eine erwachsene Frau. Zwanzig Jahre älter, als seine Tochter.
Was waren das schon, Worte? In die Luft gesprochene Zusicherungen und Schwüre.
Er war hin und her gerissen.
Ihr einen Ort schaffen an dem sie sich behütet und aufgehoben fühlen würde? Da war es einfacher mit einem zurechtgebogenen Metallkleiderbügel nach Uran zu suchen.

Niko hatte neues Bier auf den niedrigen Tisch gestellt. „Und hast du dein Herz bewegen lassen?“.
Philip sog die Oberlippe ein und verschob die Uhr am Handgelenk.
„Ich hab´s gewusst“, aber es war nur eine nüchterne Feststellung.
„Sie war nicht ehrlich zu mir. Sicher hatte sie ihre Gründe, …“
„aber schon alleine die Tatsache, dass sie nicht alles sagte. Das widerstrebt dir Philip!“, ergänzte er.
Beide prosteten sich zu und Philip versuchte ein Lächeln.
„Meinst du, dass sie diesen Ort je finden wird?“, fragte Niko.
Der Gast legte einen alten Brief auf den Tisch.
Niko griff ihn. „Ich weiß es nicht“, sagte Philip, und das war die Wahrheit.




„Lieber Philip,

du bist der wichtigste Mensch in meinen Leben. Neben dir ist der Schnee weniger kalt. Ich würde auf dich warten, weil ich mir sicher bin, dass du mich liebst. Mit dir bin ich viel weniger alleine.
Wenn ich an dich denke, dann muss ich automatisch lachen. Dann werde ich glücklich. Egal, wie schlecht es mir vorher ging. Ich kann es kaum erwarten, deine Stimme zu hören.
Es fühlt sich für mich immer surreal an, wenn wir uns sehen.
Und ich glaube, dass es keinen anderen Menschen gibt, dem ich solche Zeilen schreiben würde. Das ist doch verrückt, oder? Empfindest du auch soviel für mich oder vielleicht nicht? Manchmal weiß ich es nicht.
Meinst du, dass es einen Ort gibt, einen an dem ich mich sicher fühlen kann. An dem ich einfach sein darf? Du hast ihn mir versprochen. Existiert er real oder nur in deinen Worten?



Niko angelte einen Kuli aus der Hemdtasche und schrieb langsam aufs Papier:

Es gibt diesen Ort! Vielleicht hast du ihn selbst gefunden?
Es gibt nämlich keine Karte, auf der du den Weg finden könntest.
Auf den ersten Blick scheint alles anders zu sein. Aber wenn du aufstehst und ein paar Meter gehst, dann kannst du ihn erkunden.
Vielleicht sieht alles verlassen und trostlos aus, aber das ist nur ein Spiegel. Es sind Reflektionen unseres Denkens.
Wenn du dich umsiehst, spürst du die Kälte. Fühlst den Schnee auf deinem Mantel. Vor dir steht eine Streugutkiste und in deiner Nähe befinden sich Menschen. Ihre Blicke ruhen auf dir. Und vielleicht trägt die Liebe einen Arafat-Schal.
Die Gerechtigkeit mag Terry Pratchett Bücher und der Mut ist eine zierliche, blonde Frau.
Deren Augen blind sind, und die mit dem Herz schärfer sehen kann, als wir alle zusammen.
Und wenn die Wahrheit dein Freund ist, dann sorgt dieser dafür, dass du aus drei Himmelsrichtungen beschützt wirst. Bei jedem Wetter. Das tut ein wahrer Freund!
In die vierte Richtung musst du selbst schauen, denn du trägst eigene Verantwortung für dich.
Und sei dir sicher: Du wirst nie alleine sein-
Denn du bist da!!!


Dann führte Niko langsam den Brief in das leise Knistern über der Kerze. Die auflodernde Hitze umschmiegte die Gesichter der beiden Männer.
Und Philip sah den fallenden Papierstücken zu, wie sie sanft in den breiten Aschenbecher schwebten.
Dann starrte er in das tanzende Flackern über dem Docht.
In Gedanken sah er Ismail. Der saß auf dem Hochstand und blies warme Luft in die hohlen Hände.
Die Worte der Frau mit der Eisbärenmütze mäanderten gegen seine Trommelfelle: „Sie ist hier! Neben der Streugutkiste hat sie sich vorhin auf den Bahnsteig gelegt. Sie schläft. Ich bleibe bei ihr!“
Das Bild des Bahnhofs entfernte sich rasant mit dem Rinnen einer Träne und brannte kurz in seinem Herz wie heißes Wachs.
„Danke!“, sagte Philip in die Stille.
Helle Schatten aus Licht im Gesicht.
„Wofür denn!?“, fragte Niko leicht verwundert. Dann zog er die Nase hoch und wischte sich die rußigen Finger an der Jeans ab.


Manolo Ramon // 6. Dezember 2012

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