Sonntag, 5. August 2012
Lola pennt, der Glücksritter und Somalias hübsche Töchter.
Den tätowierten Spruch der Frau kann ich nicht lesen. Anfang und Ende fehlen, weil ihr T-Shirt darüber liegt. Ich frage mich ernsthaft, wie Frauen es schaffen dass sie halb eingerollt auf zwei Zugsitzen schlafen können.
Halb unter den Sitz geschoben schläft ein kniehoher Hund mit angegrauten Haarspitzen.
Das Tier trägt etwas um den schmalen Körper geschnallt, was wie die Weste eines Wassersportlers aussieht. Gähnend widme ich wieder der Olympiabeilage der Zeitung. Und versuche eine letztes Mal den Spruch in der Haut der Liegenden zu lesen. No chance.
Der Fellträger zuckt im Schlaf, so als würde man kurz vor dem Abtreten ins Reich der Träume sein. Dieses Gefühl des Fallens.
Beim genaueren Hinsehen fällt mir auf, dass der vierbeinige Begleiter der Frau das bodennahe Auge geöffnet hat, und mich aus dem schattigen Halbdunkel beobachtet.
Zwei Frauen setzen sich mir direkt gegenüber. Wie bildschön sie sind, fällt mir erst auf, als ich aus der Zeitung hochsehe. Das olympische Feuer wurde auf der Themse auf einem Schiff der Royales entlang geschippert, lese ich.
Die beiden Freundinnen unterhalten sich miteinander und gucken mich dabei an.
Lola hat jetzt auch das andere Auge geöffnet und den Spielraum der Leine völlig ausgeschöpft.
Frauchen wacht auf und zieht den Hund an der Leine zurück.
Näselnd ist der Hund in Richtung des Hamburgers getrippelt, den eine der beiden Frauen isst. Die andere lackiert sich die Fingernägel nach.
Figur top, Makeup top, überlege ich. Stimmig ist da alles.
Wer als Mann sagt, das er nur auf die inneren Werte achtet ist entweder grenzdebil, hat ein schlechtes Sehvermögen oder ist mit dem Hinterkopf unsanft am Rand der Badewanne aufgekommen.
Frauen und Männer geben sich doch in dieser Hinsicht nichts.
Jetzt tritt Domenico auf den Plan. Gel mit Haaren, in der Reihenfolge. Die Knopfleiste des rosa Hemdes lässig bis zum Brusthaar geöffnet. Dort wo es am dichtesten ist.
Er gräbt aus einer Tasche eine goldene Uhr aus. Die wird theatralisch ums Handgelenk gelegt. Breitbeinig fläzt er sich auf den Sitz. Gegenüber der Frau mit dem Hund. Ein Zug an der Leine lässt den Schachtelwirt - Leckerbissen für Lola in unerreichbare Ferne rücken.
Die Frau bestaunt ihre frisch lackierten Fingernägel und lächelt mich an.
„Kannst du mir bitte mit dem Armband helfen? Ich kriege das so schwer zu!“ Die Hundefrau ist hilfsbereit und schließt das Goldarmband am anderen Handgelenk.
Eine billigere Anmache gibt’s ja kaum. Die wird nur übertroffen von: „Na, du auch hier!?“
„Da bist du aber mit zwei sehr hübschen Frauen unterwegs!“ Er zwinkert mir zu.
„Guten Abend, die Fahrkarten bitte!“ Der Zugbegleiter kommt durch den Gang. Er bleibt bei der Frau mit dem Hund stehen. Sie reicht ihm ihre Karte. Er zeigt auf den Hund. „Und seine Karte!?“ – „Wie!?“ Die Stimme der Frau zittert leicht.
„Sie brauchen eine Fahrkarte für den Hund!“ Und es entspinnt sich eine Diskussion, über Tiere die kostenlos in einem Transportkasten mitgeführt werden dürfen.
„Bitte…“, beginnt der Mann, im Vierer der Hundebesitzerin, einen Satz an den Zugbegleiter.
„Sie sind ruhig!“, schnauzt dieser ihn an. Ich stecke die Zeitung weg und überlege mir, wie ich der Frau helfen könnte.
Natürlich will die Bahn auch Geld für tierisches Fleischgewicht. Da reichen die Passagiere nicht aus, die wie oft an Bahnhöfen versauern, weil ihr fucking Zug nicht kommt, zumindest nicht mehr in diesem irdischen Leben.
Und mir fallen die Zugbegleiter ein, die sich in ihrem Dienstabteil eingeschlossen hatten, weil sie die Armen waren, die Dienst im Ersatzzug des Ersatzzuges hatten. Und das bei gefühlten 40°C im ICE, mit 1000 Stunden Verspätung.
Die haben fünf gerade sein lassen und auf die Fahrkartenkontrollen verzichtet. Ich habe nichts gegen die Bahn. Im Gegenteil.
Ohne das Quietschen der Räder auf den Gleisen wäre mein Leben weniger bunt. Es gäbe weniger zu schreiben.
„Ich belehre Sie jetzt, bezüglich der Beförderungsbedingungen… Kinderkarte… Waben, die Sie fahren…. Schachtelgröße….“
Wie kann einem so einer dabei abgehen, wenn man von Vorschriftsgedöns labert und den Konsequenzen? Die Wollust steht dem Uniformträger schon in der Stimme. Ich warte schon darauf, dass er sein Eintippdingens zückt. Aber der Zugbegleiter belässt es bei der deutlichen Ansage.
„Typisch Bürokratie!“, sagt der Italiener, der sich als Domenico vorstellt. „In Ecuador oder anderswo würde es keine Menschenseele stören, wenn du dein Schwein mit auf Reisen nimmst und mit in oder auf den Bus packst!“, sage ich und alle lachen.
Der Mann mit der goldenen Uhr ist Inhaber einer Schmuckgeschäfts, das eine der beiden Afrikanerinnen kennt. Sie kommen aus Somalia. Eine der beiden frischt mein Geographie – Wissen auf. „Somalia ist hier“, sie malt es unsichtbar ans Zugfenster. „Und hier ist Wasser!“, dort das Horn von Afrika ein lackierter Fingernagel klopft ans Zugfenster.
Domenico will unbedingt nach Madagaskar, weil er gehört haben will dass man dort ein Stück Land kaufen könne, um nach Gold zu suchen. Seine Augen glitzern, während wir auf der Fensterlandkarte versuchen zu bestimmen, wo denn genau die Insel liegt.
Eine sagt im Pazifik. Ich tippe eher auf den Indischen Ozean.
Schon bald entfacht ein lebhaftes Gespräch über die Rohstoffausbeutung, in eigentlich reichen Ländern, in denen die Menschen tatsächlich bettelarm sind.
Lolas Besitzerin regt sich über diese Ungerechtigkeit auf. Zu Recht. Domenico steigt aus und verschwindet in die Nacht. Ein neuer Zugbegleiter läuft durch den Zug. Ein Schwarzer. Er bleibt am Vierer von uns stehen. „Seid ihr schon von meinem Kollegen kontrolliert worden!?“
„Wir fahren schwarz!“, sagt die Fensterlandkartendeuterin. „Wir doch immer!“, lacht der Mann, zusammen mit uns vier Sitzenden. Lola schläft wieder.
Dann verlassen uns Lola und die hübsche Besitzerin. Der Hund wird zum Abschied nochmal von allen gestreichelt.
„Geht ihr in die Markthalle in Kaiserslautern?“, frage ich die beiden. Sie hatten erwähnt, dass sie in die Stadt wollen. Sie gucken mich perplex an.
„Woher weißt du das denn!?“ Ich habe geraten. Was nicht so schwer ist, wenn zwei im Partyoutfit, durchgestylt und einer Flasche Sekt im Zug sitzen und in die Richtung fahren.
„Willst du mit uns mitkommen?“, fragt eine. Die Freundin nickt erfreut und beide sehen mich erwartungsvoll an.
Eine gute Idee, aber ich hab morgen Dienst. „Sorry, aber das geht nicht!“ – „Oh, Schade!“
Sie drücken mich beide zum Abschied und winken mir hinterher, während sie auf ihren Zug warten.
Und ich lache in mich hinein, über diese Begegnungen im Zug.

Manolo Ramon // 5. August 2012

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